Woran arbeitest du gerade?
Barbara Luchsinger: Ich habe fast acht Jahre im Wachsraum gearbeitet, wo der Modellbau angesiedelt ist. Seit einem halben Jahr bin ich an der Herstellung von Negativen beteiligt. Du befragst mich also zu einem mir relativ
neuen Feld. (lacht) Aktuell arbeite ich am ‹Hahn› von Katharina Fritsch.
Was genau machst du am ‹Hahn›?
Beim ‹Hahn› handelt es sich um eine fast fünf mal fünf Meter grosse Skulptur. Sie ist aus einzelnen Teilen aufgebaut. Diese sind zuvor laminiert und zum Ganzen zusammengeschraubt worden. Nun geht es darum, die Übergänge der Einzelteile, also die Nähte, zu spachteln und Spannung sowie einen schönen Verlauf in die Federn und die Oberflächen zu bringen. Die Form muss einfach stimmen.
Klingt eigentlich ganz easy. Aber wie das meiste, das easy klingt, ist es in der Umsetzung vermutlich anders. Du sagst, du bist neu in der Werkstatt des Negativs. Woher weisst du denn, was du zu tun hast? Wie hast du die neuen Techniken gelernt?
Das meiste zeigen mir Tamara und Janis, die schon länger im Negativ arbeiten. Im Falle des ‹Hahn› musst du die ersten zwei, drei Tage einfach mal herausfinden, wie man spachtelt: Wie lange hast du Zeit, um den Spachtel zu verarbeiten? Welche Werkzeuge verwendest du? Und so weiter. Du nimmst einfach ganz viele Werkzeuge in die Hand und probierst dich ein bisschen durch und testest, was funktioniert. Am Ende ist es ein Ausprobieren mit dem Material und mit dem Werkzeug.
Das klingt vertraut: Learning by Doing. Mein Hintergrund ist ja mit dem Studium der Kunstgeschichte eher ein theoretischer, und mein Zugang zur Kunst erschliesst sich oft über Bücher. Gibt es Momente, in denen du ein Buch in die Hand nimmst und etwas nachliest über eine Technik oder ein Herstellungsverfahren?
Ehrlich gesagt bin ich nicht viel in der Kunstbibliothek oder im Werkstoffarchiv unterwegs. Was ich oft genutzt habe, ist die Material-Archiv-App. Da habe ich schon viele nützliche Infos zu den Materialien gefunden. Generell lerne ich aber tatsächlich am besten durchs Zusehen. So war das auch, als ich im Negativ angefangen habe zu arbeiten: Janis und Tamara erzählen und zeigen mir, wie sie es machen, und ich versuche alles aufzusaugen und durch das Beobachten zu lernen. Wenn Janis beispielsweise eine Knetsilikonwurst macht, dann stelle ich mich neben ihn und schaue ihm zu, beobachte seine Handgriffe und Bewegungsabläufe.
Das ist interessant. Du lernst also tatsächlich zunächst durchs Zuschauen. Nutzt du manchmal auch Tutorials im Internet, um eine neue Technik zu erlernen?
Manchmal Videos auf Youtube. Das habe ich vor allem gemacht, als ich in der Wachswerkstatt gearbeitet habe. Da habe ich mir manchmal was angeschaut, um in die Prozesse und Techniken reinzufinden. Ich finde es ja auch immer interessant zu sehen, wie verschiedene Menschen an eine Aufgabe herangehen, wie sie sich herantasten, wie sie ihren Prozess aufbauen. Es gibt unterschiedliche Arten für ein und denselben Arbeitsschritt.
Das Auge ist also etwas Zentrales für dich beim Erlernen einer neuen Technik.
Das Auge ist, glaube ich, sogar das Wichtigste: dass du die Formen siehst, dass du die Flächen siehst. Und sicher auch die Technik. Ich habe Steinbildhauerin gelernt. Beim Bildhauen gehst du immer von der Fläche, einem Dreieck aus, dann erst gehst du in die Rundungen. Diese Grundausbildung als Bildhauerin und die in diesem Rahmen gelernten Techniken brauche ich immer. Und dann habe ich auch Vertrauen in meine Fähigkeiten, dass sich die Form schon findet.
Und wie ist das bei der Herstellung eines Negativs? Ich stelle mir vor, der Prozess der Formfindung ist ein anderer, oder?
Ja. Man stellt zwar die komplette Form her, aber die muss man vom Negativ abnehmen. Da muss man ganz anders, nämlich genau umgekehrt denken. Man muss sich vorstellen, wie das Negativ wieder wegkommt, wo Hinterschneidungen sind und so weiter. Da muss man schon einige Schritte weiterdenken und die Form so bauen, dass sie dann in den nächsten Schritten, im Wachsmodell, im Beton oder fürs Metall, funktioniert.
Womit wir wieder bei den Erfahrungswerten wären.
Genau. Dass ich acht Jahre in der Wachswerkstatt gearbeitet habe, hilft hier natürlich, weil ich die meisten Arbeitsschritte der Wachswerkstatt kenne und auch weiss, was funktioniert.
Das ist sicher ein wichtiger Punkt. Das bringt mich zurück zum visuellen Lernen, worüber wir vorhin gesprochen haben. Beim Erlernen von neuen Abläufen und Techniken gilt es sicher zu unterscheiden, ob man eine Technik schon beherrscht, einen Arbeitsprozess schon kennt – so wie bei dir mit deinem Hintergrund als Steinbildhauerin – oder ob man Laie ist. Wenn man schon ausgebildet ist, ist das Lernen durch Zusehen, das visuelle Lernen, sicher hilfreicher, als wenn man ein Handwerk von Grund auf neu lernt, wo die Manualität, das Spüren, einen grossen Stellenwert hat.
Stimmt. In meiner Ausbildung zur Steinbildhauerin ging es vor allem auch darum, eine Sicherheit in den Bewegungen und Abläufen zu entwickeln. Bei handwerklichen Vorgängen musst du einfach Routine haben. Und darum ist das wahrscheinlich auch eine vierjährige Lehre, weil du hineinkommen musst in diese Flächen, in das Sehen, in das Mit-den-Händen-Arbeiten.
Das heisst auch, für dich ist die Dokumentation deiner Arbeitsschritte gar nicht so wichtig, weil du weniger auf Dokumente zugreifst als vielmehr auf deine Erfahrung und diejenige deiner Kollegen und Kolleginnen?
Ja. Wobei das insbesondere im Negativ nun so ist. In der Wachswerkstatt habe ich mir schon Mühe gegeben, möglichst viele Fotos zu machen und meine Arbeit zu dokumentieren. Gerade beim Wachsmodell macht man etwas, das man dann drei-, viermal wiederholen muss. Da sind manchmal auch Fehler drin, die man dann zurückverfolgen kann: Wie habe ich angeschnitten, wo sie ist ausgeflossen, wo hat es Lunker, was hat nicht funktioniert? Darum ist hier eine Dokumentation wichtig. Beim Negativ ist das anders, da machst du ein Negativ, nicht zwei, drei vom Gleichen. Und beim Negativ für den Guss vom nächsten Kunstwerk ist wieder alles anders. Aber ich habe ein Notizbuch, wo ich mir manches notiere. Oft kommt dir ein Arbeitsschritt völlig klar vor und du machst dir keine Notizen und beim nächsten Mal stehst du da und denkst: Wie habe ich das nur gemacht?
Der Klassiker! Mir geht es so mit der Steuererklärung. Kommen wir nochmals auf die Youtube-Videos zurück, die du angesprochen hast. Worauf liegt dein Fokus, wenn du diese Videos schaust?
Auf den Handbewegungen.
Das heisst, für dich wäre es auch interessant, solche Abläufe als kurze, illustrative Videos in einer Bibliothek zu finden?
Also nur die Videos? Die kann ich ja auch auf Youtube schauen. (lacht)
Oder sagen wir Videos oder Animationen, die mit Objekten wie Materialproben verknüpft sind und vielleicht sogar noch mit Büchern zum Thema verlinkt sind. Sodass man ein viel dichteres Objekt hätte.
Ja, das wäre sicher toll. Zumal man bei den Youtube-Videos auch immer nicht so genau weiss, welche Qualität man hat. Durch die Bibliothek wird sozusagen garantiert, dass es sich um etwas Gescheites handelt.
Magst du mir zum Abschluss ein solches Video zeigen? Eines, das du besonders hilfreich fandest?
Klar.