Der Fund des Briefs von Bruce Nauman an Harald Szeemann (Southampton, 24. Februar 1969) im Getty Research Institute liess die Fragen aufkommen, wo sich das Archiv der Leo Castelli Gallery befindet und ob in diesem Dokumente vorhanden sind, die Aufschluss über die Herstellung und den Umgang mit Ausstellungskopien der «Neon Templates» im kommerziellen Kontext geben könnten. Dafür lohnt es sich, einen Blick auf die Bezüge und Verstrickungen zwischen den Akteuren und Institutionen zu werfen.
Brief von Leo Castelli (Stellvertretung durch Barbara Wool) an Harald Szeemann, 03.03.1969, Leo Castelli Gallery records. Box 13, Folder 30, Archives of American Art, Smithsonian Institution.
When Attitudes Become Form: Production and Documentation
Harald Szeemann hat für «When Attitudes Become Form» eine Kombination aus Ausstellungstagebuch, Itinerar der Reisen und Treffen geführt und um eine Auswahl an Besprechungen ergänzt. Demzufolge flog Szeemann für die Vorbereitungen der Ausstellung am 8. Dezember 1968 nach New York und mietet sich im Hotel Chelsea ein. Den zweiten Tag nutzte er, um die Galerien zu kontaktieren und die bereits bestehende Liste an Kontakten und Telefonnummern zu vervollständigen. Am 11. Dezember 1968 hatte er um 16.00 Uhr einen Termin im Castelli Warehouse, um die von Robert Morris kuratierte Ausstellung «Nine at Castelli» anzuschauen. Sie umfasste Arbeiten von Bill Bollinger, Eva Hesse, Stephen J. Kaltenbach, Bruce Nauman, Alan Saret, Richard Serra und Keith Sonnier. Ein langes Gespräch mit Nauman selbst führte er in Southhampton am 13. Dezember 1968 über Mittag. Diese Phase ging nahtlos in die Phase der Abklärungen der Leih- und Herstellungsbedingungen künstlerischer Arbeiten sowie Leihverhandlungen mit Privatpersonen, Institutionen und den Galerien über. Die Leo Castelli Gallery war dabei neben Künstlern, Sammlern, Kuratoren und anderen Galerien Korrespondenzpartner bis und über die Eröffnung der Ausstellung am 21. März 1969 hinaus.
Artist Liason: Bruce Nauman und Leo Castelli Gallery
Bruce Nauman wurde in der Frühzeit von der 1957 in New York gegründeten Leo Castelli Gallery vertreten. Zunächst diente das Wohnzimmer der Privatwohnung Castellis (1907-1999) im vierten Stock eines Townhouse an der 77th Street als Ausstellungsraum. Hier wurde das Original der «Neon Templates», das in seiner Farbigkeit in der Fotografie von Jack Fulton dokumentiert ist, in der Einzelausstellung «Bruce Nauman» (27. Januar - 17. Februar 1968) zusammen mit anderen Neon-Arbeiten und Body-Works gezeigt. 1968 erwarb Castelli ein Industrial Loft an der West 108th Street in Harlem, das als «Castelli Warehouse» bekannt wurde.
Leo Castelli Gallery Records
Die Leo Castelli Gallery Records wurden 2007, acht Jahre nach Castellis Tod, von seiner Frau Barbara Bortuzzo Castelli und den gemeinsamen Kindern den Archives of American Art in Washington D.C. als Geschenk übergeben. Die Archives of American Art, gegründet von Edgar P. Richardson und Lawrence A. Fleischmann 1954 in Detroit, wurden in den 1970er Jahren Teil der Smithsonian Institution.
Die Schenkung des Castelli Archivs baut auf eine Leihgabe von 1968 auf, in welcher Castelli einen Teilbestand seines Archivs zur Herstellung von Mikrofilmen der Institution zur Verfügung gestellt hatte. Das Castelli Archiv umfasst Dokumente, Fotografien, Drucke, Kunstwerke, Audio- und Videotapes aus der Zeit von 1880 bis 2000. Es schliesst neben reichem Material zur Person Leo Castelli (1907–1999) Dokumente zu den beiden Sub-Firmen Castelli Graphics sowie Castelli/Sonnabend Tapes and Films ein. Einen grossen Teil der rund 215 Laufmeter Material machen Correspondence-, Exhibition- und Artist Files aus. 2015 wurde ein Teilbestand dieses Archivs mit Unterstützung der Roy Lichtenstein Foundation digitalisiert.
Leo Castelli Archives: Digitization on Demand
Für die Leo Castelli Archives wurde eine Sub-Site auf der der Website der Archives of American Art eingerichtet. Sie ist ein Tool für Recherche, die auf der internen Erschliessungsarbeit aufbaut und zugleich ein funktionales Element für die automatisierte Bearbeitung zweier Typen von Anfragen: Anfrage für einen Sichtungstermin im Reading Room sowie Anfrage für die Bestellung von Reproduktionen. Die von Castelli selbst begründete und gepflegte Grundstruktur wurde bei der analogen und digitalen Erschliessung im Wissen darum beibehalten, dass die Zuordnung von Material zu den von Castelli gesetzten Kategorien nicht immer eindeutig und unmittelbar nachvollziehbar ist. Die Erschliessung setzt bei den physischen Containern (Boxes) an und ist um einen Kurzbeschrieb der Dokumente ergänzt, die sich darin befinden. Jede Box lässt sich über die Sub-Site einzeln bestellen.
Transatlantic: Recherche
Anfragen an Institutionen im englischsprachigen Raum zu stellen, ermöglicht, kulturell das «Sie» hinter sich zu lassen und den damit verbundenen Freiraum zu nutzen. Die guten und produktiven Erfahrungen in der Bearbeitung der Fragestellung der Case Study mit Kollaborateuren in deutscher und englischer Sprache haben mich motiviert, bei den Archives of American Art direkt das für den Reading Room verantwortliche Team zu kontaktieren. Im ersten Mail habe ich das Thema und die Fragestellung der Arbeit vorgestellt sowie die Boxen aus den Einheiten der Artist- und Exhibition Files gelistet, in denen sich relevante Dokumente zur Frage der «copy» befinden könnten.
Zwei Mitarbeiterinnen haben sich in der weiteren Bearbeitung auf ergänzende Weise eingebracht. Eine Mitarbeiterin hat die Vorauswahl an Schachteln bestellt, hinsichtlich relevanten Materials mit Bezug auf die Fragestellung gesichtet und mich informiert. Die zweite Mitarbeiterin hat den darauf aufbauenden Prozess einer «Digitization on Demand» begleitet. Diesen Service bieten die Archives of American Art als automatisierte Dienstleistung an, bei der jeder Bearbeitungsschritt nach Vorauszahlung per Kreditkarte online mitverfolgt werden kann. Als Einheit für einen Digitalisierungsauftrag gilt immer die Box zusammen mit allen Dokumenten, die sich darin befinden. Eine Digitalisierung auf Ebene des Einzeldokuments ist nicht vorgesehen. Der Versand erfolgt als zusammenhängendes PDF mit einem Deckblatt, mit dem die Box innerhalb der Archivstruktur erfasst ist.
Relevant finding: Das entscheidende Dokument
Das für die Case Study zentrale Dokument ist ein Brief vom 3. März 1969, der von Barbara Wood in Stellvertretung für Leo Castelli an Harald Szeemann in Bern verfasst wurde:
«I have just received your letter of February 28th, concerning especially the possibility of selling the copy of Bruce Nauman´s pieces owned by David Whitney to interested persons. I´m afraid I´ll have to confirm Bruce´s statement to the effect that the work cannot be sold and should be sent after the show to Ileana, who could use it again for loan purposes.»
Die Verhandlung über den Umgang mit der «copy» wurde zwischen Harald Szeemann, David Whitney und Bruce Nauman in Briefen fortgeführt, die sich im Korrespondenzarchiv der Kunsthalle Bern befinden. Die letztverbindliche Auflage durch David Whitney als Besitzer des Originals bestand darin, dass die «copy» nach Ausstellungsende zu zerstören sei.
Die Leo Castelli Gallery übernahm von den frühen 1980er Jahren bis 2005 die Funktion, über die Herstellung von Ausstellungskopien zu informieren und die Produktion zu begleiten. Die Dokumentation der Zerstörung war jeweils nach Ausstellungsende an die Galerie zu schicken. Nachweise dieser Praxis konnten mit Unterstützung der beiden Mitarbeiterinnen in den Leo Castelli Gallery Records weder lokalisiert noch identifiziert werden. Die Tatsachte, dass diese Dokumentationen nicht Teil des ansonsten weitgehend vollständig erhaltenen Archivs sind, blieb bei weiteren Recherchen im Rahmen der Case Study ein Thema. Dass die Archives of American Art seit 2007 «Keeper» der Leo Castelli Gallery Records sind, eröffnet Möglichkeiten einer Forschung über den internationalen Kunstmarkt, bei der immer wieder mit Lücken in den Findings zu rechnen ist. Die Betreuung externer Anfragen auf der Ebene der Digitalisierung macht einen kleinen Teil der Vermittlungsarbeit der Archives of American Art aus. Sie kennzeichnet als «Keeper» eine besondere Aufgeschlossenheit und Bereitschaft, gesellschaftspolitische Fragestellungen der Gegenwart mit dem Anspruch aufzugreifen und sichtbar zu machen, bei der das Verständnis von «American Art» und der Kanon kritisch hinterfragt werden.