Auf der Suche nach Informationen zu praktischen Fragen hat sich das Nachschauen anstelle des Nachschlagens etabliert. In der Tendenz klappt man in solchen Fällen den Laptop auf und nicht das Illustrierte Lexikon der Baustoffe. Im Internet stehen unzählige und kostenlose Erklär-, Tutorial- oder How to-Videos zur Verfügung, die zu simplen wie auch komplexen Arbeitsvorgängen einen audiovisuellen Zugang bieten.
Mit der Ausstellung «HOWTO», die im Spätsommer 2020 in der Kunstbibliothek und im Werkstoffarchiv zu sehen war, wurden solche Videos in verschiedener Weise mit den Sammlungen in Beziehung gesetzt. Der Bücher- und Materialbestand mit den Themenschwerpunkten Kunst und Produktion versammelt eine grosse Bandbreite von Informationen zu Herstellungsprozessen. Über Texte, Illustrationen, Fotostecken und Werkspuren auf Materialoberflächen können Arbeitsabläufe nachvollzogen und – je nach dem – darüber auch zur Umsetzung kommen. Was ersetzt oder ergänzt ein How to-Video und an welcher Stelle könnte es in einem Archiv anknüpfen? Diesen und weiteren Fragen wurde im Rahmen einer Abendveranstaltung mit den beiden Filmwissenschaftern Seraina Winzeler und Emanuel Signer, dem Künstler Roman Gysin und dem Kunstgiesser Tim Büchel nachgegangen.
Am Beispiel des populärwissenschaftlichen Films The birth oft the flower zeigte Emanuel Signer unter anderem auf, wie der Film in der Wissenschaft seit seinem Aufkommen als vermessendes Arbeitsinstrument eingesetzt wird. Filmaufnahmen können, genauso wie beispielsweise Röntgenaufnahmen, Dinge sichtbar machen, die von blossem Auge nicht zu erkennen sind. Solche funktionalen Bilder, bei denen nicht der künstlerische oder kommerzielle Anspruch im Vordergrund steht, prägen auch die Gattung des Gebrauchsfilms. Eine Kategorie mit der sich die heutigen How to-Videos in Verbindung bringen lassen. Im analogen Zeitalter entstanden Filme zu Handwerkstechniken und technologischem Fortschritt allerdings zumeist als Auftragsarbeiten.
Seraina Winzeler zeigte als Beispiel eines Gebrauchsfilms den Imagefilm Vom Spinnen und Weben der Schweizer Textilindustrie von 1939. In den Filmwissenschaften findet dieses Feld von Industrie-, Lehr- und Unterrichtsfilmen erst seit kurzer Zeit Beachtung. So waren es anfänglich Privatpersonen wie Rick Prelinger, die sich um die Archivierung von diesen, im Gegensatz zu den Spielfilmen, marginalisierten Filme kümmerten und zugänglich machten. Das Interesse am historischen Gebrauchsfilm wurde jedoch nicht aufgrund seiner vordergründigen Inhalte geweckt, sondern vielmehr über die Faszination für das Bildmaterial oder weil er viele andere Ebenen wie beispielsweise sozialpolitische Aspekte transportiert. Bei den aktuellen How to-Videos verhält es sich ganz ähnlich: Sie werden geschaut, weil die Bilder von einem Metallguss in den Bann ziehen oder es beeindruckt bis beunruhigt, mit welchen einfachen Hilfsmitteln in einem Hinterhof eine Schaumstoffmatratze entsteht. Wann und wie aber werden Gebrauchsfilme weniger als Unterhaltung, sondern effektiv gebraucht?
Roman Gysin, der neben seiner Tätigkeit als Künstler in den Werkstätten an der Zürcher Hochschule der Künste unterrichtet, zeigte an einem konkreten Beispiel, wie Filme anstelle von schriftlichen Gebrauchsanleitungen an der Schule zur Anwendung kommen. Die kurzen Filmclips auf dem Blog der ZHdK sind sehr spezifisch auf die Bedienung einer bestimmten Maschine in einem konkreten Umfeld abgestimmt. Studierende greifen darauf zurück, um sich an die wichtigsten Einstellungen und Handgriffe zu erinnern. Bei solchen Arbeitsvorgängen von einem Video, anstatt einer Lehrperson angeleitet zu werden, scheint inzwischen selbstverständlich zu funktionieren und findet guten Zuspruch.
Etwas weniger spezifisch, aber nicht weniger produktiv werden Videos in den Werkstätten der Kunstgiesserei St.Gallen gebraucht. Der Kunstgiesser Tim Büchel berichtete darüber, dass Handyfilme als hilfreiches Kommunikationsmittel eingesetzt werden, um Einblick in auswärtige Montagearbeiten oder Prozesse von externen Firmen zu geben, mit denen man projektbezogen zusammenarbeitet. Weiter werden Internet-Videos konsultiert, wenn es darum geht, ein Hilfsmittel wie zum Beispiel eine Rotationsgussmaschine zu konstruieren oder neue Techniken wie das 3D-Drucken in einer Gelsuspension zu entdecken und in modifizierter Form auszuprobieren. Dabei ist es eine Mischung von Inspiration und technischer Information, die beim Durchklicken verschiedenster Videos gesammelt wird. Auf dieser Basis entwickelt sich während der praktischen Umsetzung meist eine eigenständige Version der Technik.
Wie gut dieser Übergang vom Schauen zum Machen generell gelingt, ob Videos diesbezüglich einen Mehrwert zu anderem Bild- oder zu Textmaterial bringen und wie man über Zuschauen per Video praktische Dinge lernt, sind Fragen, welchen sich zurzeit verschiedene Forschungsprojekte widmen.
Auch wenn es dazu noch keine klaren Antworten gibt, ist zu beobachten, dass der grosse Fundus von Internet-Videos nicht nur an der ZHdK oder in der Kunstgiesserei als Informationsquelle genutzt wird. Es könnte Aufgabe und Versuch der Sammlungen im Sitterwerk sein, eine fachspezifische Auswahl von Gebrauchsfilmen mit der vorhandenen Gebrauchsliteratur und den Materialmustern zu kombinieren. Als Teil der Ausstellung «HOWTO» wurde in diesem Sinn eine Linksammlung zu verschiedenen Fertigungsverfahren auf der Plattform Are.na angelegt. Ausgehend davon gilt es nun weiterzudenken, ob solche Inhalte für eine langfristige Zugänglichkeit in eine eigene Datenbank einfliessen sollen.
Vorbild könnte das TIB AV Portal sein, eine nicht kommerzielle Plattform für Wissenschaftsfilme, welche über eine geeignete Suchstruktur verfügt, die unabhängig von Google funktioniert. Eine naheliegende Möglichkeit wäre zum Beispiel das Einbinden von How to-Videos auf dem Wissensportal Material-Archiv, das mit der physischen Mustersammlung verknüpft ist und Verfahren zur Materialbearbeitung bereits über Texte beschreibt.
Eine Zusammenstellung von Filmen nach gewissen Kriterien und mit Bezug zu den Sammlungsinhalten könnte Nutzer*innen sicherlich dienen, sich beim zeitintensiven Durchforsten von Videoplattformen weniger zu verlieren und etwas mehr Gewissheit darüber zu haben, ob sie tatsächlich Inhalte und nicht doch Werbung schauen.
Sollte sich ein eigenständiges Format für How to-Videos im Sitterwerk entwickeln, bleibt es parallel dazu jedoch empfehlenswert, sich ab und an im Internet treiben zu lassen und bei der Recherche nach Verfahren die mexikanische Variante des Metalldrückens kennenzulernen oder beim Thema Metallbiegen bei Uri Geller und seinen Löffeln zu landen.