Sittertalstrasse 34
CH-9014 St.Gallen
+41 71 278 87 09 (MO–FR)
+41 71 278 87 08 (Sonntag)
post@sitterwerk.ch
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag, 9–17 Uhr
Sonntag, 14–18 Uhr
Samstag geschlossen
Die Kunsthistorikerin Franca Mader hat durch ihre Arbeit im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projektes «Skulptur und Plastik in Darstellungen und Quellenschriften des 16.-18. Jh.» viel Erfahrung gesammelt im Umgang mit Schlagworten zu Herstellungs- und Produktionstechniken. Im Nachgang zum Workshop «Ortsspezifisches Vokabular: Herstellungs- und Produktionsprozesse» vom 31. März 2021 berichtet sie von der online Plattform für kunsttechnologische Quellenforschung – Die Digitale Kunst-Pforte – die sie mitaufgebaut hat.
Historische Quellentexte und Darstellungen künstlerischer Herstellungsverfahren sind von erheblichem Interesse für Kunsttechnolog:innen, Restaurator:innen, Konservator:innen und Kunsthistoriker:innen. Sie können Auskunft geben darüber, wie heute erhaltene Kunstwerke entstanden sind, aus welchen Bestandteilen sie sich zusammensetzen und erlauben so Rückschlüsse darüber, wie die verwendeten Materialien gealtert sind. Entsprechend ergänzen kunsttechnologische Quellen die naturwissenschaftliche Analyse in den Restaurierungswissenschaften und erweitern diese um eine historische Dimension. Kunsttechnologische Quellentexte und Darstellungen liefern aber auch wertvolle Informationen für praktizierende Künstler:innen, Kunsthandwerker:innen und Architekt:innen. Sie können konkrete Informationen geben zu traditionellen Materialien sowie zu ihrer damaligen Gewinnung und Anwendung. Für Historiker:innen, Soziolog:innen und Sprachwissenschaftler:innen erlauben sie wiederum Rückschlüsse auf den sozialen und historischen Kontext, in dem Kunstwerke und Texte entstanden sind und die Künstler:innen bzw. Kunsthandwerker:innen tätig waren. Aufgrund dieses breiten Interesses wurde im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojektes «Die Erschliessung kunsttechnologischer Quellen in Schrift und Bild» an der Hochschule der Künste Bern die Digitale Kunst-Pforte entwickelt – eine online Datenbank und Forschungsplattform für kunsttechnologische Quellen.
Grundlage des Forschungsprojektes bildete «Die güldene Kunst-Pforte», verfasst von Christophe Zindel, der zugleich Mitglied der Forschungsgruppe ist. Die im Jahr 2010 erschienene Publikation versammelte rund 1300 kunsttechnologische Quellenschriften von der Antike bis zu Beginn des 20. Jh. Jede einzelne Quelle wurde von Zindel mit einem kurzen Text vorgestellt und mit weiteren Angaben zu Verfasser:in, Ausgaben und Sekundärliteratur versehen. Dieses Buch wurde aufgrund seines, wie Manfred Koller es in der Kunstchronik treffend bezeichnet hatte, «datenbankartig aufgebauten» Sachwortregisters in kurzer Zeit zu einem immens wichtigen Arbeitsinstrument für Restaurator:innen, Kunsttechnolog:innen und Kunsthistoriker:innen.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde in der Folge nicht nur die systematische Suche nach bisher unentdeckten kunsttechnologischen Quellen in Schweizer Bibliotheken angestrebt, sondern auch nach einer Möglichkeit gesucht, die Errungenschaften der «Güldenen Kunst-Pforte» in ein digitales Format zu transferieren.
Sowohl Quellenschriften als auch Bilder sollten in der Datenbank durch eine möglichst zielführende Suchfunktion erschlossen werden können. Es musste also überlegt werden, welche Fragen zukünftige Nutzer an die Datenbank haben könnten, die vielleicht auch von den ursprünglichen Fragestellungen, die der Datenmodellierung zugrunde liegen, abweichen können. Wichtig schien die klassische Suche nach Verfassern, Erscheinungsdaten, Titeln, aber vor allem auch nach in den Quellen erwähnten oder dargestellten Materialien und Techniken. Die Abfrage der erstgenannten Eigenschaften war durch die strukturierte Erfassung der bibliografischen Daten ohne weiteres möglich. Für die Abfrage der Techniken und Materialien musste ein spezifischer Thesaurus entwickelt werden, welcher im Folgenden etwas genauer vorgestellt werden soll.
Nach der Evaluierung von bestehenden Normdaten-Formaten wurde festgestellt, dass es keine Normdatenstruktur gibt, die den Bereich der Materialien und Techniken in einem Detailierungsgrad wiedergibt, wie die Digitale Kunst Pforte dies erforderte. Deshalb wurde entschieden, auf dem umfangreichen Sachwortregister Zindels aufzubauen und dieses ins Digitale zu übertragen. Das Register besteht aus einem Katalog kunsttechnologischer Kategorien und Fachthemen (Materialien, Techniken, Herstellungsprozesse oder Quellenkategorien), die in 27 Kapitel mit jeweils bis zu 6 Unterkategorien unterteilt sind. Die Kategorien und Unterkategorien sind gemäß ihrer analogen Verwendung notwendigerweise stark «hierarchisch» verknüpft. Das bedeutet, dass eine Unterkategorie nie ohne ihre Überkategorie auskommen kann. So existiert der Begriff «Metallauflagen» rund 26 mal in immer wieder anderen Zusammenhängen, die verwandt sind und dennoch eine Ausdifferenzierung benötigen. Zindel unterscheidet beispielsweise zwischen Metallauflagen in der Tafelmalerei und Metallauflagen in der Wandmalerei, denn dabei handelt es sich um verschiedene Techniken, welche in jeweils unterschiedlichen Quellen thematisiert werden. Es musste also auch nach dem Transfer des Sachwortregisters ins Digitale weiterhin möglich sein, zwischen den 26 verschiedenen Arten der Metallauflage zu unterscheiden und den jeweiligen Kontext aufzufinden.
Zindels analoge Struktur der Begriffe wurde für die Online-Lösung auf 10 Hauptkategorien reduziert. Diese können hinzugefügt werden, falls die einzelnen Schlagwörter nicht selbsterklärend sind oder einer genaueren Definition bedürfen. So finden sich in der Digitalen Kunst-Pforte beispielsweise die Schlagwortkombinationen «Metallauflagen Tafelmalerei» sowie «Metallauflagen (Architektur)», wobei der Begriff in der Klammer die Kategorie angibt, und somit erkennen lässt, dass es sich um Metallauflagen an der Wand handelt. Auch können Schlagwörter, die mehrmals vorkommen, aber andere Funktionen haben, unterschieden werden. So findet sich «Gummigutt» einmal in der Kategorie «Bindemittel und filmbindendes Material» und einmal in der Kategorie «Farbmittel». Solche Unterscheidungen sind insbesondere dann notwendig, wenn es sich um historische Begriffe und Materialien handelt, welche heute nicht mehr gebräuchlich sind und ursprünglich in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wurden.
Um historische Begriffe, die je nach Zeit und Ort stark variieren können, abzubilden wurde mit der Digitalen Kunst-Pforte ein System von Synonymen und verwandten Begriffen entwickelt, das es dem Benutzer ermöglicht, durch Eingabe verschiedener Begriffe zu den gleichen Suchergebnissen zu kommen. Hierzu wurde wiederum die Systematik Zindels beibehalten. Begriffe, die ähnlich sind und zur gleichen Gruppe von Quellen führen, wurden als «Synonyme und ähnliche Begriffe» verknüpft. So ist das Schlagwort «Kreuzdorn (Farbmittel)» verknüpft mit den verwandten Begriffen «Wegdorn (Farbmittel)», «Giallo santo», «Kreuzbeeren (Farbmittel)», «Saftgelb», «Rhamnus Frangula L. (Farbmittel)», «Rhamnus cathartica L. (Farbmittel)» und «Jaune d’Avignon». Die Begriffe unterscheiden sich zwar deutlich, sind aber in ihrer Funktion eng verwandt. Entsprechend führt die Schlagworteingabe zu derselben Gruppe von Quellenschriften, in der diese Techniken beschrieben werden.
Die dank der Digitalität gewonnene, weniger hierarchische Struktur des Thesaurus erlaubt es außerdem, mit einem geringen Aufwand neue Begriffe hinzuzufügen oder bereits bestehende zu konkretisieren und damit die Digitale Kunstpforte stets aktuell zu halten. Da einer der Kooperationspartner des Forschungsprojektes das Materialarchiv ist, wurden die Schlagwörter im Thesaurus zusätzlich, wenn möglich, mit einem Link zum Materialarchiv versehen, so dass die Nutzer:innen leicht mehr über die einzelnen Materialien oder Techniken erfahren können.
Dem Forschungsteam war es ein grosses Anliegen, dass die Möglichkeiten des «rechts- und links-Schauens» und dabei Inspiration finden, wie dies beim Blättern im Sachwortregister der Güldenen Kunst-Pforte möglich war, in der digitalen Version nicht komplett verloren ging. Dieser Anforderung wurde entgegengekommen, indem Nutzer:innen bei der Eingabe der Schlagworte in die Suchmaske immer eine Autovervollständigungs-Auswahl angezeigt bekommen. So kann heute die mit «Glas» beginnende Eingabe vervollständigt werden mit den Schlagworten «Glasherstellung», «Glasmalerei», «Glasbearbeitung», «Glasanstrichtechniken», «Glasbildträger» etc.
Die öffentlich zugängliche Online-Publikation in Form einer strukturierten Datenbank stellt einen Paradigmenwechsel dar. Bei der klassischen Art der Print-Publikation von Forschungsergebnissen muss die Darstellung der Daten entschieden und festgelegt werden. Mit der digitalen Sammlung von Daten in strukturierter Form, können aus den vorhandenen Daten jederzeit weitere - vielleicht jetzt noch nicht absehbare - Aggregationen und Ansichten generiert werden. Der Vorteil einer Online-Publikation ist nicht nur durch die Vielzahl der möglichen Outputs gegeben, sondern auch dadurch, dass die Ergebnisse sofort zur Diskussion und Ergänzung anstehen. Änderungen können unmittelbar vorgenommen und eingesehen werden. Dies ermöglicht eine direkte Interaktion und einen Diskurs mit allen Nutzenden, sowie weltweite Kollaborationen mit Forschenden.
Bibliographie
Manfred Koller, Neue Quellenstudien zur historischen Kunsttechnologie, in: Kunstchronik, Vol. 2, Februar 2012, S. 66.
Christophe Zindel, Güldene Kunst-Pforte: Quellen zur Kunsttechnologie : eine chronologische Übersicht gebundener Quellenschriften zu Baukunst, Bildnerei (Skulptur und Plastik), Malerei, Graphik, Kunstgewerbe, Kunsttheorie und Restaurierung von der späten Antike bis 1900 mit bibliographischen Daten, Kurzkommentar und Registern, Bern: Hochschule der Künste, 2010.