Die Ausstellung «Reading the Library» hat sich aus der Workshopreihe Kunst Produktion Sprache entwickelt, in der das Thema «Schlagwort» behandelt wurde und grundlegende Fragen zu ethischen, politischen Aspekten der Wissensorganisation aufgeworfen wurden, die in der Ausstellung weiterverfolgt wurden: Was ist die Verantwortung einer Bibliothek, wie positioniert sie sich, in welchen Diskursen platziert sie sich? Wessen Auswahl durchsuchen wir in einer Bibliothek, in wessen Narration sind die Inhalte eingebettet, und wessen Ordnung folgen wir damit? Wer verfasst und unterhält die Einträge im Katalog und welche Überlegungen, Grundsätze formen die damit verbundenen Entscheidungen? Wie liesse sich ein Katalog denken, der diese Fragen aufnimmt und gleichzeitig darüber informiert, was in und was nicht in der Bibliothek ist?
9.Oktober 2024
Diese Fragen wurden in künstlerischen Beiträgen und Veranstaltungsformaten exploriert. Im Fokus stand dabei die Abbildung und Dokumentation von Recherche und Suchprozessen. An seinen Aufenthalt im Gästezimmer anknüpfend widmet Matthias Gabi sich dem Thema, indem er den Bestand der Kunstbibliothek nach Büchern absucht, die Inserate enthalten.
Seine Suchabfrage fasst er in einer handschriftlichen, an vormodernde Bibliothekskataloge erinnernde, Ergebnisliste zusammen. Sein Beitrag stellt die Frage nach den Möglichkeiten des Katalogs, Bücher systematisch nach ihrem Kontext, der Finanzierung, ihren Rahmenbedingungen durchsuchen zu können.
Matthias Gabi, Lecture-Performance, 2021
Matthias Gabi, 2021
Delphine Chapuis-Schmitz Beitrag stützt sich ebenfalls auf ihren Aufenthalt im Gästezimmer. Sie erarbeitete während der Ausstellung einen literarischen Text, den sie an der Finissage performte. Sie interessiert sich für eine Suche, die den Metabeschreibungen des Katalogs insofern entflieht, als sie direkt bei den Inhalten der Bücher, bei einzelnen Sätzen und Aussagen, ansetzt. Sie sucht sich aus verschiedenen Büchern Zitate heraus und kombiniert diese zu einem neuen Text. So ist es nicht länger der Katalog, der einen Einstieg liefert in die Welt der Bücher, sondern eine subjektiv zusammengestellte Collage an Zitaten, die wiederum selbst einen literarischen Wert hat. Damit macht sie darauf aufmerksam, dass der Katalog immer subjektiv gefärbt ist und sucht eine Form, dies sichtbar zu machen.
Gestützt auf die Workshopreihe Kunst Produktion Sprache hat die Künstlerin Eva Weinmayr in Zusammenarbeit mit Lucie Kolb, für die Ausstellung das Seminar «Teaching the Radical Catalogue» über den Bibliothekskatalog erarbeitet. Ziel des Seminars ist es, die verschiedenen Faktoren, die unsere Suche im Katalog bestimmen, herauszuarbeiten und Methoden aufzuzeigen, konventionelle Ordnungssystrukturen zu hinterfragen, aufzubrechen, zu dynamisieren und zu personalisieren. Das Seminar diskutiert in 8 Lektionen unterschiedliche Aspekte: die erste Lektion beschreibt, inwiefern Informationsabfrage kein neutraler, technischer Akt, sondern durch soziale und politische Faktoren geprägt ist; die zweite Lektion verweist auf das koloniale Erbe von Bibliotheken des globalen Norden das es für eine de-koloniale Praxis erst aufzuarbeiten gilt; die dritte Lektion widmet sich den Möglichkeiten und Potentialen alternativer lokaler Bibliotheken und Archive; die Lektionen vier, fünf, sechs und sieben machen deutlich, dass dasselbe auch für die Infrastruktur des Bibliothekskatalogs gilt. Die Lektionen versammeln Experimente und Ansätze verschiedener Kollektive (Feminist Search Tools, Infrastructural Manoeuvres, The Rewrite, Constant), die an der Infrastruktur des Bibliothekskatalogs kratzen. Diese Kollektive arbeiten daran, die technologischen Grundlagen, die Vorgaben der Benennung und Klassifizierung sowie die Autorität und das Privileg derjenigen, die katalogisieren, freizulegen. Sie entwickeln Werkzeuge, um den Katalog durchlässiger zu machen, damit die Nutzenden Einwände erheben, ihn umschreiben, verändern und mitbestimmen können.
Die von Barbara Biedermann, Lucie Kolb und Eva Weinmayr kuratierte Ausstellung «Reading the Library» fand vom 29.8. bis 7.11.2021 in der Kunstbibliothek und im Werkstoffarchiv des Sitterwerks statt. Ihre vielstimmigen Beiträge haben einen Wissensaustausch angestossen, nicht nur zwischen Nutzer:innen und Besucher:innen der Bibliothek, sondern auch von den Nutzer:innen zurück in die Kunstbibliothek und das Werkstoffarchiv. Der Einbezug verschiedener internationaler Archive hat die experimentellen Ansätze des Sitterwerks in einem internationalen Netzwerk von Sammlungen im Bereich Kunst kontextualisiert und neue Themenfelder, aber auch Partnerschaften initiiert, die wir 2022 vertiefen werden. Gerade die aktive Vernetzung mit anderen Archiven und Fachpersonen, die sich mit alternativen Wissensordnungen, Sammlungsnutzungen oder Arbeitsmethodiken beschäftigen, bereichern die Weiterentwicklung der experimentellen Ansätze der Dynamischen Ordnung und Werkbank. Diese greifen wir 2022 durch Experimente mit dem Katalog, unkonventionelle Suchfunktionen, und die Anreicherung der Bestandsbeschreibung durch zusätzliche Informationen, auf. So wird die Kunstbibliothek und das Werkstoffarchiv, mit Nähe zu den Werkstätten der Kunstgiesserei, nicht nur eine Anlaufstelle für Fragen von praxisnahem Wissen und zu Recherche von Material, Kunst und Verfahren/Prozessen, sondern auch von kritischen Diskursen über Ordnungssysteme in Bibliotheken.