Production Stories: Über die Entstehung der Sitterwerk-Edition «To Us And All the Others» von Sara Masüger
Sara Masüger war im Sommer 2022 während vier Wochen zu Gast im Atelierhaus der Stiftung Sitterwerk. In dieser Zeit hat sie neben der Weiterentwicklung einiger Arbeiten auf Einladung für die Stiftung Sitterwerk in enger Zusammenarbeit mit der Kunstgiesserei St. Gallen die Edition «To Us and All the Others» produziert.
16.September 2024
Die Entstehung der Arbeit «To Us and All the Others» kann man in folgenden Video nachverfolgen.
Im Gespräch mit Sara Masüger sind wir dem Produktionsprozess nachgegangen und haben nachgefragt, welche Entscheidungen zum Werk geführt haben. Als erstes wollten wir von ihr wissen, wie sich die Werkidee konstituiert hat? Sara erklärt, dass sie mit einer vagen Vorstellung nach St. Gallen gekommen ist. «Es war noch sehr offen, was ich machen möchte, und gleichzeitig war die Zeit von meinem Aufenthalt sehr begrenzt. Ich wusste, dass ich etwas mit Kreisen und Gussskanälen machen möchte.» Die Form von Ringen kommt bei Sara Masüger schon in früheren skulpturalen Arbeiten vor, so zum Beispiel bei zwei Arbeiten «Untitled», beide aus dem Jahr 2020. «Am ersten Abend meines Aufenthaltes traf ich Michel Auder, der ebenfalls Gast im Sitterwerk Atelierhaus war, und wir haben zusammen gegessen. Dabei ist mir seine Hand mit all den Fingerringen und Armreifen aufgefallen. Wir führten wunderbare Gespräche. Michel hat viel gestikuliert, und da waren immer wieder diese Ringe an seiner Hand. Dieses Bild hat sich mir so stark eingeprägt, dass ich eine Arbeit mit seiner Hand machen wollte. Ich fragte ihn, ob ich seine Hand mit Alginat abnehmen darf, er war sofort einverstanden.»
Barbara Biedermann: In früheren Arbeiten hast du vor allem mit deinem eigenen Körper gearbeitet. War das für dich ein anderer Prozess?
Sara Masüger: «Ja, das ist ein ganz anderer Prozess. Die Arbeiten mit dem eigenen Körper gleichen oft den Überresten einer Performance, da der Prozess eine Distanznahme verunmöglicht. Wenn ich gleichzeitig mit meinem Körper eine Gussform von meinem Körper baue, muss ich die Entscheide aufgrund von haptischen Wahrnehmungen treffen. Ich bin immer zu nah dran, ähnlich einer Kamera, die das Bild nicht scharfstellen kann. Dies führt zu einer Fragmentierung und einer Unschärfe, wie wir sie zum Beispiel von Hanna Villigers Fotografien kennen. Bei der Arbeit mit einem anderen Körper entsteht ein Dialog, währenddem ich das Gegenüber auch als Form wahrnehmen und visuelle Entscheide treffen kann, mich selbst hingegen zwischen Beobachtung und Handlung bewege.»
«Wie wichtig ist es dir, dass man als Betracher:in weiss, dass es die Hand von Michel Auder ist, die in verewigt ist?»
«Das ist mir sehr wichtig. Er ist ein berührender und beeindruckender Mensch und ein grossartiger Künstler.»
«Michel Auder war einer der ersten, der bereits in den 1960er Jahren mit dem Medium Video arbeitete, wobei er das Medium sehr experimentell verwendete. Seine Filme und Videos sind Collagen aus Aufnahmen von seinem privaten Leben, seinen Mitmenschen und seiner Umgebung, die ganz bewusst auch mit konventionellen Erzählstrukturen brechen. Beziehst du dich mit der Abbildung seiner Hand, mit dem Fragment, auf sein künstlerisches Schaffen?»
«Seine Hand bezieht sich auf sein Schaffen. Mein Schaffen bezieht sich auf seine Hand, dadurch entsteht eine Berührung.»
«Nicht nur im Prozess, auch im Material hast du für diese Edition ein wenig anders gearbeitet als gewöhnlich. Deine Arbeiten sind oft aus Gips oder Acrystal. Die Edition ist ein Bronzeguss.»
«Ja, normalerweise arbeite ich mit Acrystal, Gummi, Zinn…, alles Materialien, die ich im Atelier selbst giessen kann und die mir vertraut sind. Es hat mich begeistert und beeindruckt, miterleben zu können, was es braucht, einen Bronzeguss vorzubereiten und zu giessen. Gleichzeitig zu sehen, was Bronze mit der Arbeit macht und welche Möglichkeiten die Nachbearbeitung bietet. Die Arbeit mit einem für mich neuen Material ist dem Erlernen einer neuen Sprache sehr ähnlich. Es war für mich ein grosses Geschenk, an diesem wunderbaren Ort, mit der Unterstützung dieser grossartigen Menschen, arbeiten zu können!»
«Eingusskanäle sind im Wachsausschmelzverfahren eigentlich funktionale Bestandteile, die Hohlräume im Schamott setzen, wo dann später die flüssige Bronze eingeleert wird, durchfliessen und sich in der Form verteilen kann. In deiner Arbeit haben Eingusskanäle eine besondere Rolle, weil sie auch Teil vom Werk sind. Kannst du das erläutern?»
«Die Eingusskanäle faszinieren mich schon lange, weil sie für den Guss zusätzlich an die bestehende Wachsform angebracht werden und einer ganz anderen Logik folgen als derjenigen, welche die Skulptur erschaffen hat. Gleichzeitig bilden sie eine neue Struktur um die Skulptur herum, die für einen kurzen Moment in Dialog mit der Skulptur tritt. Im Wachsatelier der Giesserei sieht man die unglaublichsten Dialoge. So entstand die Idee, die Gusskanäle in meine Arbeit zu integrieren.»
«Auch hier zeigt sich ein Interesse am Fragment, das in deiner Arbeit oft zum Ausdruck kommt. Interessanterweise sind die Gusskanäle in der fertigen Arbeit ästhetisch sehr harmonische Elemente und sie nehmen eine neue Funktion ein, die über eine rein technische Aufgabe hinausgeht.»
«Im Gegensatz zu den Körperabdrücken und den gekneteten Linien, erinnern die Gusskanäle mich mehr an Linien einer Zeichnung, die den Raum definieren und aktivieren.»
«Wie muss man sich das also technisch vorstellen? Das Eingusssystem, durch das man die Bronze eingegossen hat, war direkt in Form der Kreise angesetzt worden, sodass während des Eingusses auch gleich die richtige Form entstanden ist?»
«Nein. Ich hatte für die Hand sowie für die gekneteten Teile der Bögen ein Negativ gebaut, aus dem ich jeweils fünf Wachspositive goss, die schliesslich für die Edition im Wachsausschmelzverfahren in Bronze gegossen wurden. Die Eingusskanäle habe ich als vorgefertigte Elemente in Wachs von der Giesserei bekommen. Da sie einander sehr ähnlich sehen, wurden sie direkt im Wachsausschmelzverfahren gegossen und im Nachhinein in die richtige Form gebogen und an die Bronzehand angeschweisst.»
«Zum Giessen der Hand und der gekneteten Bögen wurde natürlich auch ein Eingusssystem angefügt. Es werden also in dieser Arbeit Gusskanäle vom Rohguss weggeschnitten und andere, die gar nicht Teil vom Gussprozess waren, angeschweisst. Das ist eine interessante Vermischung. Auch hier eröffnet sich durch die Kenntnis der Werkbestandteile eine weitere Dimension, die den Arbeiten etwas Fluides verleiht, was ja gerade dem Material Bronze, dass mit Beständigkeit assoziiert wird, entgegensteht. War es eine konzeptionelle Entscheidung, dass Spuren des Produktionsprozesses zu Teilen des Werkes werden?»
«Ich mochte die Vorstellung sehr, dass Teile des Produktionsprozesses zu Werkbestandteilen werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass dies im Falle dieser Edition nicht möglich war, da die Gusskanäle einzeln gegossen werden mussten.»
Sara war auch beim Ziselieren vor Ort in der Kunstgiessereiwerkstätte. Eine weitere Überlegung war, statt das Eingusssystems die Metallfedern, welche bei jedem Guss entstehen, an der Arbeit dranzulassen, um so einen Teil des Produktionsprozesses sichtbar zu machen. Letztlich hat sie sich dagegen entschieden. Die Edition «To Us and All the Others» hat eine Rohgusspatina erhalten, welche den changierenden Charakter der rohen unbehandelten Gusshaut festhält.