Sittertalstrasse 34
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Vom 6. bis 8. Juni waren Paula Dörfler, Frank Gfeller und Mirjam Wolffers von der Fachstelle für Sekundärrohstoffe der Universität Bern im Sitterwerk zu Gast. Im Rahmen der dreiteiligen Reihe «Mein ABC ist…» ordneten sie während drei Tagen die Bestände der Kunstbibliothek und des Werkstoffarchivs um und schufen neue Kategorien, Bezüge und Zusammenstellungen, die Einblicke in ihr Forschungsgebiet geben.
An der Fachstelle Sekundärrohstoffe am Institut für Geologie befasst sich die Gruppe mit dem Paradigmenwechsel vom Abfallgedanken hin zu Sekundärrohstoffen. Das Ziel ihrer Forschung ist die Entwicklung optimaler Nutzungs- und Verwertungswege von mineralischen Abfällen.
Die Erde, von Kern bis Atmosphäre, ist die Grundlage für das uns bekannte Leben. Sie versorgt ihre Bewohner mit Luft, Wasser, Nahrung und einer Vielfalt von Bodenschätzen. Gleichzeitig waren und sind wir von Gefahren der Wildnis herausgefordert. Während der Entwicklung der Zivilisation haben wir Menschen gelernt, die Ressourcen der Natur für uns zu nutzen. Bei der Herstellung der Materialien, die unseren Alltag angenehmer und sicherer machen, entstehen jedoch auch Abfälle.
Mit ungefähr 700 kg Siedlungsabfall pro Kopf und Jahr gehört die Schweiz zur Weltspitze der Abfallproduzent:innen. Die vertrauten Müllsäcke repräsentieren jedoch nur einen kleinen Teil der Abfallmassenströme. Dass jährlich mehr als 75 Millionen Tonnen Bau- und Industrieabfälle produziert werden, ist im Bewusstsein der Gesellschaft wenig präsent. Zum Schutz der natürlichen Ressourcen und des knappen Deponieraums brauchen wir neue Verwertungsansätze.
Um neue Verwertungswege zu finden, analysieren Wissenschaftler:innen diese Abfälle mit materialwissenschaftlichen Methoden. Dabei kommen zum einen Mikroskope zum Einsatz, aber auch chemische und mineralogische Labormethoden. Wir sammeln so Informationen zur Struktur der einzelnen Bestandteile der Abfälle, aus denen sich dann Eigenschaften für eine mögliche Verwertung ableiten lassen. Der Gehalt an umweltgefährdenden Stoffen jedoch verhindert bei den momentan anfallenden Abfällen eine direkte Verwertung. Wir versuchen in unserer Arbeit die Industrieprozesse so zu verändern, dass auch die Abfallprodukte eine bessere Qualität haben und verwertet werden können. Wir Forschenden bewegen uns also zwischen der rigiden Ordnung kristalliner Materie und dem Chaos menschlichen Handelns – oder jenem auf dem eigenen Schreibtisch.
Der Umstieg von primären Rohmaterialien zu Sekundärrohstoffen ist dringend notwendig. Der Abbau von Metalllagerstätten führt zu einem drastischen Eingriff in die Umwelt. Die anschliessende Verhüttung der Erze ist energieintensiv und produziert grosse Mengen an umweltgefährdenden Verhüttungsschlacken als Abfall. Deshalb wird durch Abfalltrennung ein grosser Teil der Metalle rezykliert und kommt als Sekundärrohstoff zurück in den Materialkreislauf. Weil Metalle einen hohen Wert haben, werden sie auch heute schon aus schwer zu verarbeitenden Abfällen zurückgewonnen, z. B. aus Schlacken von Kehrichtverwertungsanlagen. Diese enthalten ca. 15% rückgewinnbare Metalle.
Auch für die verbleibenden 85 % der Schlacke muss nach Verwertungswegen geforscht werden. Da die mineralische Restfraktion immer noch zu hohe Schwermetallgehalte für eine Verwertung enthält, wir durch gezielte Aufbereitungsschritte an einer Qualitätsoptimierung geforscht. Sind die geforderten Qualitäten einmal erreicht, könnte zum Beispiel die Schweizer Zementindustrie eine mögliche Verwerterin dieses Sekundärrohstoffes sein.
Die Zementindustrie steht nämlich unter Zugzwang: Sie trägt mit einem Ausstoss von rund 2,4 Mio. Tonnen CO2 im Jahr einen beträchtlichen Anteil zu den Treibhausgasemissionen bei. Eine Teilsubstitution von Kalkstein durch den Einsatz von CO2-freien oder CO2-neutralen Rohmaterialien, wie Verbrennungsrückständen, hat aus wissenschaftlicher Sicht enormes Potential.
Mit einem Baustoffbedarf von 80 Mio. Tonnen Material pro Jahr ist die Bauindustrie schon heute eine Verwerterin von Recycling-Materialien. Von den anfallenden 17 Mio. Tonnen Beton- und Mischabbruch werden bereits 65 % verwertet. Dieser Wert liesse sich steigern, wenn Mischgranulat aus Beton, Backsteinen und anderen Baustoffen, vermehrt als Kies- und Sandersatz im Beton zum Einsatz käme. Es besteht allerdings noch wenig Akzeptanz für den dabei entstehenden rötlichen Beton und so wird Mischabbruch in vielen Kantonen immer noch vollständig deponiert.
Deponien sind die Endstation für Materialien ohne unmittelbaren Verwendungszweck. Sie sind Mahnmäler, dass unser Umgestalten des Planeten Schattenseiten hat, die uns nun mit selbstgemachten Herausforderungen konfrontieren.
Auszüge der temporären Auslegeordnung von Büchern und Materialmustern sind über sieben digitale Zusammenstellungen im Sitterwerk-Katalog einsehbar:
Ressourcen
Abfall
Labor
Primär und Sekundär
Sand und Formstoff
Energie, Sand und Bettmaterial
Bauabfälle und Deponie
Paula Dörfler hat nach Abschluss des Bachelorstudiums Geowissenschaften in München einen Master in Earth Sciences an der Uni Bern gemacht. Thema der Masterarbeit war die Verwertung der Holzaschen als Zementzumahlstoff. Seit Abschluss ihres Studiums 2022 arbeitet sie als Projektassistentin an der Fachstelle Sekundärrohstoffe.
Nach einer Berufslehre als Elektromonteur und einem Erdwissenschaftsstudium, promovierte Frank Gfeller zur Kristallchemie von Calciumaluminaten, -silikaten und -phosphaten. Anschliessend arbeitete er für den «Forensisch Naturwissenschaftlichen Dienst» des Kantons St. Gallen, bis er 2019 mit Nadja Melko die Firma ArchaeoLytics gründete. Heute unterstützt er das Naturhistorische Museum der Burgergemeinde Bern als Assistent und die Fachstelle für Sekundärrohstoffe der Universität Bern als wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Mirjam Wolffers hat als sich als Geologin bereits während dem Masterstudium und im Doktorat mit dem Thema der Schwermetallrückgewinnung aus Verbrennungsrückständen und der nachhaltigen Schliessung von Materialkreisläufen auseinandergesetzt und untersucht mittlerweile als Bereichsleiterin Mineralische Sekundärrohstoffe an der Fachstelle für Sekundärrohstoffe (Universität Bern) die Verwertungsmöglichkeiten von mineralischen Massenrohstoffen.