Kunst Produktion Sprache – Workshopreihe zum ortsspezifischen Vokabular
3. Dezember 2024
Barbara Biedermann
In der Workshopreihe «Kunst Produktion Sprache» erprobten wir die Idee, ein ortsspezifisches Vokabular für Kunstgiesserei, Kunstbibliothek und Werkstoffarchiv zu entwickeln und dessen Potenzial zu befragen. Wir wollten klären, welche Begriffe zentral sind für den Ort. Ein Ort, der sowohl Sammlung als auch Kunstbibliothek, Werkstoffarchiv als auch Forschungszentrum ist, an dem in nächster Nähe in der Kunstgiesserei St. Gallen Kunstwerke aus verschiedenen Materialien hergestellt und restauriert werden. Stiftung Sitterwerk und Kunstgiesserei St. Gallen, und damit Prozesse der Dienstleistung, der Vermittlung, der Forschung und der Produktion, durchdringen sich gegenseitig und sind aufeinander bezogen. Ist es möglich, durch ein ortsspezifisches Vokabular, das Wissen vor Ort abzubilden und im Katalog auffindbar zu machen und damit neue Zugänge zu Sammlungen zu schaffen? Mit welchen Suchbegriffen finden wir die Inhalte? Was könnte ein ortspezifisches Vokabular abbilden, und was nicht? Auf welchen Kategorien basiert es? Können wir neue Kategorien und Schlagworte denken, die für den Ort und seine Sammlungen prägend sind?
Die Stiftung Sitterwerk ist seit ihrer Gründung 2006 darum bemüht, Wissen auf einer nicht hierarchischen Struktur basierend zu vermitteln, unter anderem dank der hier entwickelten dynamischen Ordnung. Durch ihre Bücher- und Materialsammlung, wie auch ihre Nähe zur Kunstgiesserei St. Gallen – und damit zu einem Produktionsort von zeitgenössischer Kunst – versteht sich die Stiftung Sitterwerk vielmehr als Kompetenzzentrum zu Fragen betreffend Material, Kunst und Produktion, denn als reiner Gedächtnisort. Wissensvermittlung und -genese verschränken sich, zum einen durch die Benutzung der Kunstbibliothek und des Werkstoffarchiv, zum anderen durch den Austausch mit der Kunstgiesserei St. Gallen. Mit dem Ziel, das dynamische Ordnungssystem auszuweiten, stellen wir uns mehr und mehr die Frage, wo überall Ordnungen und Hierarchien entstehen, wie sie sich manifestieren, wessen Ordnungen das sind und wie wir auf diese reagieren können, wo wir innovative Formen der Wissensgewinnung und -bewahrung finden und alternative Zugänge zu Information sowie neue Narrative schaffen können.
Die dynamische Ordnung beschreibt die physische Anordnung der Bücher im Regal. Diese können beliebig rausgezogen und in neuen Kombinationen wieder ins Regal zurückgestellt werden und bilden so vergangene Suchen ab. Die zurückbleibenden persönlichen Handapparate laden Besucher:innen ein, am Regal in diese Recherchen einzutauchen und auf thematisch naheliegende Titel genauso zu treffen, wie auch auf Überraschendes und Unerwartetes. Anders gestaltet sich die Suche, wenn wir im Onlinekatalog einen bestimmten Titel, ein Material oder Literatur zu einem Themenbereich finden wollen. Was wir finden, hängt nicht nur von der Treffgenauigkeit der eingegebenen Begriffe, sondern unter anderem auch von den Schlagworten ab, die den Objekten hinterlegt sind.
Schlagworte in Bibliothekskatalogen sind aber nie neutral, sie benennen, klassifizieren und indexieren. Immer ist damit ein Akt der Interpretation verbunden. Sie rahmen und bestimmen, wie Bücher und Materialien gefunden werden – und zu gewissen Teilen auch, wie sie gelesen werden. Sie sind es, die wir als Teil von Ordnungssystemen in Bibliotheken und Archiven in den Blick nehmen, als kleinste Bausteine von Katalogen befragen und durch die Beleuchtung verschiedener Praktiken des Suchens und Findens in Bezug zur Suche am Regal setzen wollen. Im Zentrum steht die Frage nach einem Schlagwortsystem, das analog zur dynamischen Ordnung neben gewünschten Treffern auch überraschende und unerwartete Funde erlaubt und entgegen seiner eigentlichen Funktion genutzt werden kann.
«Ortsspezifisches Vokabular: Herstellungs- und Produktionsprozesse», 31. März 2021
Im ersten Workshop «Ortsspezifisches Vokabular: Herstellungs- und Produktionsprozesse» gingen wir Fragen nach, was wir von bestimmten Produktions- und Fertigungsverfahren wissen wollen und wie wir an dieses Wissen kommen. Unter der Leitung der Informationswissenschaftlerin Jasna Zwimpfer dachten wir gemeinsam mit unseren Gästen Hanna Baro, Michael Günzburger, Julia Lütolf, Franca Mader, Lothar Schmitt, Mara Züst und Mitarbeitenden der Kunstgiesserei St. Gallen sowie einer interessierten Öffentlichkeit über das Finden konkreter Prozessbegriffe nach. Es stellte sich die Frage, wo wir dieses Vokabular in der Bibliothek und dem Werkstoffarchiv verorten, wie es sichtbar und nutzbar wird und welche Funktionen es für uns erfüllt. Einerseits muss ein ortsspezifisches Vokabular für externe Nutzer*innen bekannt, also sichtbar oder gar kommentiert sein, damit diese mit den entsprechenden Begriffen operieren können. Es muss aber auch mit den Beständen, die unter Umständen in eine Normverschlagwortung eingebettet sind, verknüpft sein.
Schlagworte sind Wegweiser für Informationszusammenhänge. Doch müssen es immer Worte sein? Meist wissen wir am Beginn einer Suche – gerade auch wenn es um Fragen nach Produktionsmöglichkeiten geht – nicht, wonach wir genau suchen (müssen). Welcher Prozess, welches Material führt uns zum gewünschten Ergebnis und wie finden wir die entsprechenden Informationen dazu? Könnten auch Videos, Interviews oder Animationen, welche die Verfahren und Produktionstechniken illustrieren oder repräsentieren, Teile eines alternativen Schlagwortsystems werden und neue Zugänge schaffen?
«Ortsspezifisches Vokabular: Bücher», 29. April 2021
Im zweiten Workshop «Ortsspezifisches Vokabular: Bücher» stand die Suche am Regal im Fokus. Gezielt haben wir die Mechanismen in den Blick genommen, die unsere Suche beeinflussen. Wir haben unsere Gäste Anne-Laure Franchette, Roland Früh, Franziska Koch & A Frei, Izet Sheshivari, Jan Steinbach und Gloria Wismer eingeladen, in einem ersten Workshopteil Bücherzusammenstellungen anzulegen und ihr Suchen zu beobachten: Warum ziehen wir ein Buch aus dem Regal? Wie strukturieren wir unsere Suche, wenn sie direkt am Regal erfolgt, und wie kommen wir an verwandte Titel? Wo spielen Katalogsuche und Suche am Regal zusammen, resp. ab welchem Moment fangen wir an, die individuellen Kriterien in Kategorien und Begriffe zu übersetzen? Im zweiten öffentlichen Abschnitt des Workshops teilten sie ihre Überlegungen und gemeinsam diskutierten wir Momente, in denen das Mäandern entlang der Bücherregale in eine Systematisierung der Suche umschlägt.
In der Kunstbibliothek ermöglicht die Suche am Regal einen Zugang, den der Katalog verweigert, denn sie macht die Spuren vorheriger Nutzer:innen sichtbar, trägt ästhetische, haptische oder inhaltliche Gemeinsamkeiten zu Tage, die man durch die Bewegung im Raum, das Sehen und Tasten, begreifen kann. Izet Sheshivari, Grafikdesigner und Gründer von Boabooks, hat hierbei spannende Wege aufgezeigt und die Unterschiede von Datenbank und Regal betont. Ein zentrales Moment der Systematisierung sowie auch der Schnittstelle von Bestand und Datenbank ist die Versprachlichung. Die Herausforderungen, die im Bilden von Kategorien liegen, haben die Künstler:innen Franziska Koch und A. Frei aufgenommen. Sie haben die Fragen gestellt, wessen Auswahl wir hier durchsuchen, in wessen Narration die Inhalte eingebettet sind, wessen Ordnung wir folgen. Sie betonten, dass was in der Bibliothek ist, ebenso zentral ist, wie was nicht in der Bibliothek ist.
«Ortsspezifisches Vokabular: Der Katalog», 20. Mai 2021
Die Frage nach den Bedingungen des Ortsspezifischen, wie sie teilweise im zweiten Workshop angedacht wurden, wurde im dritten und letzten Workshop «Ortsspezifisches Vokabular: Der Katalog» unter der Leitung der Künstlerin und Autorin Lucie Kolb aufgegriffen. Im Fokus stand der Bibliothekskatalog, die Datenbank, in der durch die Suche nach Titeln, Schlagworten und anderen Metadaten Bücher gefunden werden. Angeleitet von der Frage, wie ein ortspezifisches Vokabular Eingang in den Katalog finden kann, wurden grundlegende Fragen nach den Bedingungen des Katalogs diskutiert. Zentral war hierfür die Erkenntnis, dass der traditionelle Bibliothekskatalog limitierte Möglichkeiten hat, Kontext, das heisst Ortsspezifik, abzubilden und das komplexe Geflecht der site des Sitterwerks, das sich aus dem Ort, der Architektur, den Personen, ebenso zusammensetzt wie aus der Geschichte der Bibliothek und ihrer Auseinandersetzung mit alternativen Ordnungssystemen und dynamischer Ordnung. Gemeinsam mit einer interessierten Öffentlichkeit und unseren Gästen Philipp Messner, Axelle Stiefel, Eva Weinmayr und Jasna Zwimpfer haben wir vor diesem Hintergrund den Katalog als Instrument, das sozial und historisch gewachsene Ordnungen abbildet, genauer betrachtet, um Möglichkeiten herauszuarbeiten, wie einerseits die Grundlagen des Katalogs, die unsere Suche bestimmen, für Nutzer*innen lesbar werden können, und andererseits Kontext in den Bibliothekskatalog eingeführt werden könnte.
Die Workshopreihe hat viel angestossen, was uns auch im weiteren Projektverlauf zur Weiterentwicklung der Werkbank und des dynamischen Ordnungssystem beschäftigen wird. Insbesondere werden wir die Frage nach einem les- und schreibbaren Katalog in der Ausstellung «Reading the Library» von August bis November 2021 weiterbearbeiten.